Videokonferenzen machen müde: Zoom Fatigue

Online-Meetings ermöglichen mobiles Arbeiten und helfen beim Schutz unserer Gesundheit. Doch bei manchen zehren sie mehr an Kraft und Nerven als bei anderen.

Nicht erst, aber besonders seit Corona-Zeiten haben Videokonferenzen Einzug in den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter erhalten. Das hat zum einen offensichtliche Vorteile hinsichtlich des Infektionsschutzes, zum anderen kann es auch der Arbeitsweise einiger Mitarbeiter*innen entgegenkommen.

Andere wiederum tun sich mit Zoom-Calls und Team Meetings schwer. Zoom Fatigue (oder zu deutsch auch etwas kastiger „Videokonferenzerschöpfung“) wird das Phänomen der erhöhten Ermüdung durch die Teilnahme an Videokonferenzen genannt. Das Wort setzt sich zusammen aus „Zoom“ (wie der mittlerweile vermutlich allseits bekannte Anbieter für Videoanrufe) und dem Englischen „fatigue“, was so viel wie Erschöpfung / Ermüdung oder auch einfach Müdigkeit bedeutet.

Diese ist auch eines der Hauptsymptome von Zoom Fatigue. Arbeitnehmer*innen, die an Zoom Fatigue leiden, berichten außerdem von Unkonzentriertheit, Gereiztheit, Frustration und Ungeduld mit ihren Mitmenschen. Mitunter gesellen sich zu den psychischen Symptomen physische wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Sehstörungen oder auch Magenschmerzen. Auch die ersten Anzeichen sollten bereits  ernstgenommen werden: Es muss nicht bis zu körperlichen Symptomen kommen, ehe man sich des Problems annimmt.

 

Für viele Menschen ist es anstrengend, sich ständig selbst sehen zu können. Denn das führt zu gesteigertem Bewusstsein dafür, dass alle anderen es auch können.


Woher kommt Zoom Fatigue? – einige Faktoren technischer Natur

 

Zoom Fatigue hat verschiedene Ursachen, die in Online-Meetings zumeist gebündelt auftreten und verschiedene Menschen unterschiedlich stark belasten. An erster Stelle stehen da die offensichtlichsten Stressoren, die wohl jedem lästig sind – ein(e) andere(r) Teilnehmer*in (oder gar man selbst) kann sich aus unbekannten Gründen nicht in das Meeting einloggen, irgendjemand fliegt wiederholt raus, es stockt, laggt, hallt, echot. Aber auch bei „guter“ Verbindung kann die Tonqualität das Zuhören mitunter unangenehm machen. Gehen immer wieder einzelne Silben, oder gar ganze Wörter und Satzteile verloren, erfordert das besonders aktives Zuhören, um das (vermutlich) Gesagte, aber (leider) Verpasste, gedanklich zu rekonstruieren.

Online-Meetings sind nicht nur auditiv, sondern auch visuell eine Herausforderung. Viele Gesichter auf einer derart kleinen Fläche zu sehen, ist anstrengend. Unser Gehirn ist ständig damit beschäftigt, jedes einzelne zu entschlüsseln – Konzentration auf das eigentliche Thema fällt schwer. Non-verbale Signale zu senden und zu empfangen, erfordert aufgrund der Vielzahl und geringen Größe der Kacheln erhöhte Aufmerksamkeit. Zudem weiß man nie so genau, ob man gesehen wurde, oder andere gesehen haben, dass man sie gesehen hat. Mit den bisherigen technischen Gegebenheiten ist es in  Videokonferenzen unmöglich, „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren. Guckt man das Gegenüber auf dem Bildschirm an, guckt man aus seiner / ihrer Perspektive nach unten. Schaut man stattdessen direkt in die Kamera, kann man den / die Gesprächspartner*in bestenfalls noch im Augenwinkel wahrnehmen. Und wenn alle freundlich in die Kamera schauen, gibt es niemanden mehr, der es sehen kann.

Auch wenn es zunächst geringfügig erscheint: fehlender Blickkontakt ist für die Psyche des Menschen ein Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ist mein Gegenüber unzufrieden? Ist es mir wohlgesonnen? Haben mich alle verstanden? All diese Dinge richtig einzuschätzen, fällt in einer Videokonferenz viel schwerer. Ein ungutes Bauchgefühl schleicht sich ein und führt zu psychischem Stress.

 

Selbstfokussierte Aufmerksamkeit

 

Und wenn wir schon mal über sehen und gesehen werden reden: für viele Menschen ist es anstrengend, sich ständig selbst sehen zu können. Denn das führt zu gesteigertem Bewusstsein dafür, dass alle anderen es auch können. Dieses Phänomen ist als selbstfokussierte Aufmerksamkeit bekannt. Oftmals rückt dann, wenn auch unterbewusst, der Fokus zumindest teilweise darauf, wie man von anderen wahrgenommen wird - wirkt man kompetent, freundlich, abwesend oder gar gelangweilt? Je nachdem, worum man sich eher sorgt, bemühen sich manche Menschen dann darum, eine lebhaftere Mimik aufzusetzen, oder ihre Gesten und Gesichtsausdrücke zu beschränken, um nicht (unangenehm) aufzufallen.

Eine weiterer Grund für die im Vergleich zu analogen Meetings zusätzliche Belastung ist die stärkere Versachlichung. Vor und nach Online-Meetings findet in der Regel kein oder nur stark formalisierter Smalltalk statt. Eine lockere Stimmung kommt eher selten auf. Besonders introvertierteren Zeitgenossen fällt es  unter Umständen schwer, sich in einer Videokonferenz zu Wort zu melden, sowohl bei Arbeitsangelegenheiten als auch “lockeren” get-togethers. Insgesamt ist der Gesprächsverlauf oft weniger organisch und erfordert aktiveres Bemühen um gelungene Kommunikation.

 

Leiden Frauen mehr unter Videokonferenzen?

 

Frauen sind insgesamt häufiger von Zoom Fatigue betroffen als Männer. Das soll daran liegen, dass sie die ständige selbstbezogene Aufmerksamkeit als stressiger empfinden. Sich andauernd selbst zu sehen, löst eine stärkere Evaluierung des eigenen Images und ständiges Abschätzen der Wirkung auf andere aus. Im Gegensatz zu Männern neigen sie dann eher dazu, nonverbales Kommunikationsverhalten zu unterdrücken (z.B. aus Sorge, andernfalls unseriös zu wirken). Zudem sitzen sie durchschnittlich in längeren Videokonferenzen mit weniger Pausen dazwischen.

 


Zoom Fatigue bekämpfen – Videokonferenzen neudenken

 

Zoom Fatigue ist natürlich belastend und unschön. Aber mit dieser Feststellung ist noch nicht aller Tage Abend. Denn so hoffnungslos das Ganze klingen mag, es gibt noch Licht am Ende des Tunnels. Zoom Fatigue-Geplagte können sich zwar nicht umerziehen, aber das müssen sie auch gar nicht. Chefs und Chefinnen können verschiedene Maßnahmen ergreifen, um ihren Mitarbeiter*innen den digitalen Arbeitsalltag im Home Office etwas leichter zu machen. Davon profitieren auch alle anderen, die nach Online-Meetings „nur“ normal müde sind.

Wenn etwas anstrengend ist, könnte die erste Maßnahme sein, es einfach weniger zu machen. Heißt in diesem Fall: nur Videokonferenzen planen, die wirklich notwendig sind. Kann etwas genauso effektiv über Text abgeklärt werden, muss dafür kein Teams-Meeting veranstaltet werden. Andererseits sind etwas komplexere Angelegenheiten mitunter besser „persönlich“ besprochen. Je nachdem, womit sich die Beteiligten wohlfühlen, kann hier ein klassisches Telefonat vielleicht ein guter Mittelweg sein.

Um das Ganze etwas zu entzerren und Mitarbeitenden eine Pause zu gönnen, hilft es, wenigstens einen videokonferenzfreien Wochentag einzuplanen. So können Mitarbeiter*innen immerhin einen Tag pro Woche ihrer persönlichen Planung überlassen, denn Online-Meetings unterbrechen natürlich auch den eigenen Workflow.

Zudem sollte man sich von der (wenn auch naheliegenden) Annahme verabschieden, Online-Meetings seien praktisch dasselbe wie analoge Meetings – nur eben online. Videokonferenzen stellen andere Herausforderungen und verlangen demnach auch eine andere Herangehensweise. Konkret heißt das, dass Meetings zum einen kürzer geplant werden sollten. Klare Strukturierung ist mehr noch als bei konventionellen Meetings von besonderer Bedeutung, da spontane Absprachen digital (vor allem bei großer Teilnehmerzahl) schwieriger sind. Insofern sollte von Anfang an ein Ablaufplan feststehen, in dem auch ein jedem Thema zugewiesenes Zeitfenster enthalten ist. Jeder Redner sollte sich bemühen, die Redezeit einzuhalten.

 

Man sollte sich von der Annahme verabschieden, dass Online-Meetings praktisch dasselbe sind wie analoge Meetings - nur eben online. Sie stellen andere Herausforderungen und erfordern eine andere Herangehensweise.


Eine gute Moderation ist ebenfalls wichtig: Sie gibt der Videokonferenz Struktur, holt alle Beteiligten ab und achtet darauf, dass jeder zu Wort kommt. In Online-Meetings ist es aufgrund der beschränkten Sicht auf andere und Verzögerungen bei der Übertragung schwierig, sich spontan zu Wort zu melden. Insbesondere wenn mehrere Teilnehmer etwas zu sagen haben, kann das ohne Moderation schnell unübersichtlich werden.

Auch sollten Pausen eingeplant werden, und zwar nicht nur zwischen Meetings, sondern auch während längerer Meetings. Die “normale” Konzentrationsspanne der menschlichen Psyche von ca. 1 Stunde verkürzt sich durch Videokonferenzen noch weiter. Kurze regelmäßige Unterbrechungen, um den Fokus zu regenerieren, verhindern die totale Erschöpfung.
Der visuelle Stress vieler Gesichter auf kleinem Raum lässt sich verhindern, indem man die Teilnehmenden auffordert, ihre Kamera auszuschalten (hilft auch bei Verbindungsproblemen). Wird das als zu unpersönlich wahrgenommen, kann man das Unbehagen, das durch selbstbezogene Aufmerksamkeit verursacht wird, erheblich mindern, indem man (wenn möglich) eine Ansicht wählt, in der das eigene Bild nicht zu sehen ist.

Ein weiterer Tipp: Um allen Beteiligten einen Fixpunkt zu geben, den sie während der Videokonferenz betrachten können, kann eine Whiteboard Software genutzt werden, z.B. um das Besprochene gleich festzuhalten. Der zusätzliche visuelle Reiz wirkt einer Unterstimulierung des Gehirns entgegen und ermuntert zur aktiven Teilnahme an dem Meeting. (Hier können Sie weitere Tipps zur Moderation von Online-Meetings finden.)

 

Mobil arbeiten angenehmer machen: Selbsthilfe fürs Homeoffice

 

Als Teilnehmer kann man sich selbst das Meeting durch Vorbereitung ein bisschen leichter machen. So kann man beispielsweise vor Beginn einen Eigen-Technik-Check durchführen und überprüfen, ob Kamera, Mikrofon (und eventuell Headset) richtig funktionieren. Neben einem Getränk seiner Wahl kann man für die Pause einen kleinen Snack bereithalten. Eventuell benötigte Ladekabel sollten sich während des Meetings in Griffnähe befinden. Wem es wichtig ist, der kann sich auch vorher über den Hintergrund Gedanken machen, etwa den Bademantel weghängen oder in eine neutralere Umgebung wechseln.

Während des Meetings selbst sollte man der Versuchung widerstehen, während augenscheinlich für einen selbst unwichtiger Momente eine andere Aufgabe zu erledigen. Auch, wenn sich bei manchen der feste Glaube hält, dass sie tolle Multitasker sind, wurde immer und immer wieder gezeigt, dass Multitasking nicht funktioniert. Stattdessen springt das Gehirn nur sehr schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her – was dazu führt, dass keine davon wirklich konzentriert ausgeführt werden kann.

Auch, wenn es ohne designierten Arbeitsplatz zu Hause mitunter schwerfällt, ist es Gesundheit und Wohlbefinden im Homeoffice wie im Büro zuträglich, einige Dinge zu beachten. Namentlich wären das zum Beispiel die rückengerechte Einstellung von Schreibtisch und Stuhl sowie die richtige Platzierung und Ausrichtung des Bildschirms. Weitere Hinweise zum gesunden Homeoffice hier.

 

Fazit

 

Zoom Fatigue betrifft nicht jeden gleichermaßen. Dennoch ist es eine Problematik, die nicht ignoriert werden sollte. Werden bei der Planung und Durchführung von Videokonferenzen ein paar einfache Tipps beherzigt, kann man Betroffenen die Zeit im Homeoffice deutlich angenehmer machen. Aber auch alle anderen profitieren von weniger, kürzeren und besser moderierten Meetings.

 

Lesen Sie auch die anderen Teile unserer Reihe zu Digital Wellbeing!