Storytime: Als ich das erste Mal von zu Hause ausgezogen bin, habe ich die Anmeldefrist am Zielort nicht allzu knapp verpasst. Wieso? Weil der nächste verfügbare Termin über einen Monat in der Zukunft lag.
Wie cool wäre es aber gewesen, hätte ich das Ganze entspannt aus meiner leeren, kühlschranklosen Wohnung heraus erledigen und direkt danach den Telekom-Mitarbeiter für den DSL-Anschluss empfangen können? Das ist, wo digitale Verwaltung ins Spiel kommt – bzw. kommen könnte. Denn während in vielen anderen europäischen Ländern Behördengänge längst über das Smartphone erledigt werden können, verlangen in Deutschland die meisten Anliegen immer noch einen Besuch auf dem Amt. Das soll sich ändern… allerdings schon seit Jahren.
Was ist E-Government?
Verwaltungsleistungen über ein mobiles Endgerät von überall her in Anspruch nehmen – das wird ermöglicht durch digitale Verwaltung. Nach dem gängigen Verständnis ist digitale Verwaltung Bestandteil des sogenannten E-Governments (manche finden aber auch, dass von E-Government erst die Rede sein kann, wenn der gesamte öffentliche Sektor inklusive Justiz und Regierung automatisiert oder sogar autonomisiert ist).
Unter E-Government muss man sich eher ein allgemeines Leitbild als einen bestimmten, klar definierten Prozess vorstellen. Wie so oft existieren mehrere Definitionen, die sich vor allem danach unterscheiden, wie weit der Begriff gefasst ist. Grundlegend geht es aber bei allen um genau das, was die Bezeichnung vermuten lässt: die Nutzung von IKT (Informations- und Kommunikationstechnik) in geschäftlichen Prozessen rund um Verwaltung und Regierung. Das kann sich je nach Auslegung auf die öffentliche Verwaltung beschränken oder die gesamte Staatsgewalt und all ihre Aufgaben umfassen. So definierte im Jahr 2000 beispielsweise die Gesellschaft für Informatik die Bezeichnung E-Government als „Durchführung von Prozessen der öffentlichen Willensbildung, der Entscheidung und der Leistungserstellung in Politik, Staat und Verwaltung unter sehr intensiver Nutzung der Informationstechnik.“
Das Spektrum der Definitionen bildet eine Art Skala ab: auf der einen Seite steht basale (also schwache) Digitalisierung. Hier erfolgt „lediglich“ eine Umstellung auf digitale Formate, ohne dass sich jedoch Abläufe und Strukturen grundlegend ändern. Dazu gehören zum Beispiel die elektronische Aktenführung oder das Anbieten von Behördenleistungen (zusätzlich) online.
Auf der anderen Seite stünde „starke Digitalisierung“ bis hin zum Digitalen Staat. Staatshandeln und administrative Prozesse würden sich durch den Einsatz digitaler Technologien in ihrer Struktur wesentlich verändern. Die stärkste denkbare Variante der Digitalisierung wäre die datengetriebene Verwaltung. Hier würden nicht nur Arbeits- sondern auch Entscheidungsprozesse automatisiert oder sogar autonomisiert werden – die Steuerung öffentlichen Lebens durch Rechtsnormen würde von einer Steuerung durch Datenanalysen ersetzt.
Wem das unheimlich oder ein wenig zu extrem klingt, dem sei an dieser Stelle gesagt – in Deutschland versuchen wir uns momentan an der ersten Stufe basaler Digitalisierung: der Übertragung vorhandener Strukturen in ein digitales Umfeld. Von einem digitalen datengetriebenen Staat sind wir noch weit entfernt. Ohnehin wäre das im gegenwärtigen Rechtsumfeld für Regierungshandeln und Verwaltungsprozesse auch gar nicht möglich.
Wieso E-Government?
Jeder und jede, der oder die schon einmal eine Behördenleistung in Anspruch nehmen wollte (oder musste), weiß, wie aufwendig und langatmig der Prozess sein kann. Für viele Anliegen muss man persönlich vorstellig werden, also muss ein Termin vereinbart werden. Der liegt je nach Auslastung der entsprechenden Stelle in mehr oder minder weiter Ferne. Noch dazu ist es keine Seltenheit, dass verfügbare Termine sich nur widerwillig in den eigenen Tagesablauf einfügen.
Die Digitalisierung der Verwaltung zielt darauf ab, die Vorgänge für Bürger*innen auf der einen Seite, aber auch Angestellte auf Ämtern und Behörden einfacher zu machen. Laut Guckelberger kann eine richtig durchgeführte Digitalisierung von Behörden dafür sorgen, dass Verwaltungsleistungen effektiver, transparenter, bürgerfreundlicher und kostengünstiger erbracht werden können. So entfallen etwa lange Wartezeiten auf Termine, Anreise und Wartezeiten vor Ort.
Die Unternehmensberatung McKinsey berechnete, dass durch die Digitalisierung der wichtigsten Verwaltungsleistungen Bürger*innen 84 Millionen Stunden Zeit gewinnen und Unternehmen eine Milliarde Euro Kosten pro Jahr sparen könnten.
Das OZG 2017
Das OZG (kurz für Onlinezugangsgesetz) wurde am 14. August 2017 erlassen und trat vier Tage später am 18. August in Kraft. Ziel sollte sein, Verwaltungsdienstleistungen online für die Bürger*innen zugänglich zu machen. Konkret heißt das, dass Bund, Länder und Gemeinden dazu verpflichtet wurden, bis spätestens Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen elektronisch anzubieten und in einem Portalverbund zusammenzuführen. Konkret umfasst das einen Katalog von 575 Behördenleistungen. Das Gesetz definiert wesentliche Begriffe und schafft eine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung. Unter anderem wird dort festgelegt, dass mit Einwilligung des Nutzers eine dauerhafte Speicherung und Übermittlung an die für die jeweilige Verwaltungsleistung zuständige Behörde zulässig sind. Der Nutzer muss zugleich die Möglichkeit haben, alle gespeicherten Daten, aber auch das Nutzerkonto selbst, jederzeit selbst zu löschen.
Was hätte man tun können?
Wir sind im Jahr 2018. Das Online-Zugangsgesetz wurde erst vor kurzem verabschiedet. Man steht vor einer Mammutaufgabe. Wie soll man diese Herausforderung angehen, wie den langen und komplexen Prozess der behördlichen Digitalisierung starten?
McKinsey hat in einem Report von 2018 dargestellt, wie die Ziele aus dem Onlinezugangsgesetz erreicht werden können. Hier wurde etwa beschrieben, dass eine Umsetzung in zwei Modellen lohnenswert wäre: große Behörden könnten sich aufgrund überlegener Ressourcen an Vorbildern erfolgreicher Digitalisierung aus der Privatwirtschaft orientieren. Kleinere, v.a. kommunale Einrichtungen, sollten die Möglichkeit erhalten, andernorts entwickelte Lösungen zu übernehmen, auf ihre Gegebenheiten anzupassen und in ihr Ökosystem zu integrieren. So könnten kleinere Behörden und Ämter deutschlandweit Lösungen miteinander teilen und sich ihr digitales Angebot nach dem Baukastenprinzip zusammenstellen.
Zudem sollte die Bundesregierung noch mehr tun, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, die für die flächendeckende Digitalisierung nötig sind. Hier sollte eine übergeordnete Strategie aufgestellt und klare Zielvorgaben gemacht werden, um der Entwicklung eine Richtung vorzugeben. Immerhin ist Ausbau des E-Governments und damit „Digitalisierung der Verwaltung“ ein Vorhaben von enormem Ausmaß. Eine strukturierte Vorgehensweise ist somit unerlässlich. Dasselbe gilt für gemeinsame IT-Plattformen und technische Standardisierung, um die Angebote der verschiedenen Behörden interoperabel zu machen, d.h. nahtlosen Datenaustausch zwischen verschiedenen Stellen zu ermöglichen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass verschiedene staatliche Stellen aneinander vorbei „reden“, und etwa auch das „once-only“-Prinzip unzureichend funktioniert.
Digitale Prozesse erfordern auch moderne Rechtsgrundlagen. Mit der Digitalisierung verändert sich das kollektive Verständnis von Privatsphäre und Datenschutz. Gesetzliche Regelungen, die auf einem überholten Privatsphäre-Verständnis beruhen, sind eine große Hürde für die Digitalisierung der Behörden. McKinsey betont daraufhin das Potenzial eines „Registermodernisierungsgesetzes“, das einen angemessenen rechtlichen Rahmen für die elektronische Datenübermittlung zwischen Behörden über staatliche Register darstellen würde.