Digitalisierung in Deutschland ist seit Jahren Schlusslicht im internationalen Vergleich. Was im Kleinen beobachtet werden kann, etwa Papierberge, die noch immer hin und her geschoben werden, oder Behördentermine, die persönlich wahrgenommen werden müssen, hat Auswirkungen im Großen. So schrieb etwa der Focus, Deutschland sei vom industriellen Führer zum digitalen Follower abgestiegen, und die Süddeutsche prangerte jahrelange antidigitale Grundhaltung der Politik an, die dabei sei, uns ins digitale (und wirtschaftliche) Aus zu katapultieren.
Auch auf unserem Blog haben wir uns bereits mit der Frage beschäftigt, warum die Digitalisierung in Deutschland nur so langsam voranschreitet. In diesem Artikel legen wir dar, wie langwierige bürokratische Prozesse und fehlende Förderung für Startups Neugründungen erschweren und Innovation behindern. Zudem hat das Bildungssystem es verpasst, mit der Zeit zu gehen und die zunehmend wichtigen digitalen Kompetenzen zu vermitteln. Stattdessen wurde zu sehr darauf gesetzt, dass Schülerinnen und Schüler sich die entsprechenden Fähigkeiten entweder außerschulisch aneignen oder aber „von Haus aus“ mitbringen, denn sie gehören einer Generation an, die den meisten als Digital Natives gilt.
Mangelt es Mitarbeitern an Digitalkompetenz oder Management an Ambitionen?
Diese Zuschreibung basiert aber einzig und allein auf der Tatsache, dass die jungen Generationen mit dem Internet aufgewachsen sind. Die Annahme, dass sie dadurch automatisch mit neuen Technologien sicher umzugehen wissen, oder gar über das Alltagswissen hinaus flächendeckend über tiefergehende Kenntnisse verfügen, ist ein Trugschluss. Zwar ist der Umgang mit Technik für die meisten jungen Menschen Teil ihrer Alltagsrealität, digitale Kompetenzen müssen trotzdem gelehrt werden. Sie entwickeln sich nicht einfach von selbst.
Fehlende Digitalkompetenz von Mitarbeitenden wird ohnehin oft als Begründung ins Feld geführt, wenn die zögerliche Digitalisierung von Unternehmen thematisiert wird. In einer Studie gaben 30% der befragten Unternehmen an, Mangel an Fachkräften mit Digitalkompetenz sei eine Hürde für den digitalen Wandel.
Über fehlende Kenntnisse von Mitarbeiter*innen wird oft geredet, als handele es sich dabei um eine unveränderliche Größe, der alles andere unterworfen werden muss. Und natürlich müssen die Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen berücksichtigt werden – durch gezielte Schulungen und Weiterbildungen, um den Umgang mit neuer Technologie zu erlernen. Nicht, indem man aufgrund der (vermeintlich) unzureichenden Digitalkompetenz Mitarbeitender die digitale Transformation aufs Eis legt - und am Ende womöglich verschläft. Es reicht schlicht nicht, sich darüber zu beklagen, dass das Bildungssystem zu wenig „digitale Köpfe“ produziert. Das mag der Fall sein, aber die Zeit, zu warten, bis sich das ändert, ist schlichtweg nicht vorhanden. (In diesem Artikel haben wir die Hürden auf dem Weg in die Digitalisierung für kleine und mittelständische Unternehmen ausführlicher thematisiert.)
Aber vielleicht ist dieser Fingerzeig auch nur ein einfacher Weg, die eigene Innovationsträgheit zu rechtfertigen. Denn das Erfahrungswissen zur Digitalisierung ist noch recht gering, die Folgen manchmal schwer abzusehen und die Verunsicherung groß. Und wo Akteur*innen verunsichert sind, wächst die Tendenz, bereits Erlangtes zu sichern und Bestehendes zu erhalten. Das führt dann dazu, dass im Rahmen des „Digitalisierungsprozesses“ in einem Unternehmen Technologien dazu genutzt werden, bestehende Routinen zu beschleunigen oder minimale Verbesserungen vorzunehmen. Grundlegende Veränderungen, die Prozesse nicht nur digitalisieren, sondern maßgeblich verändern, die Aufbruch statt Aufbesserung sind, werden hingegen eher nicht angestrebt. Ob sie bewusst vermieden werden oder überhaupt nicht als Option erkannt werden, ist schwer zu sagen.